Wie kann ich meinem Kind beim Klavierlernen helfen?

Geschrieben von Gerd-Wien am 19. Dezember 2019 17:05 Uhr

    

Kennst du Kinder oder hast du Kinder, denen du gern das Klavier nahebringen möchtest?
Wir alle haben unsere eigene Geschichte beim Erlernen von Musikinstrumenten.
Schauen wir zurück, gab es einige Dinge, die erfolgreich waren, und etliche, die wir lieber nicht noch einmal erleben möchten.
Langsam oder eigentlich recht schnell werden auch die Kinder älter und wir würden sie gern ein Instrument lernen lassen.
Wie gehe ich am besten vor?
Was muss ich dabei berücksichtigen?
Was ich in den folgenden Zeilen schreibe, gilt natürlich nicht nur für die eigenen Kinder, sondern auch für die Enkelkinder, die Nichten oder Neffen, die Nachbarskinder oder die Kinder, denen wir gern was am Instrument beibringen möchten.
Zunächst ein paar allgemeine Gedanken:
1. Liebe und Toleranz im Herzen: Vor Kurzem habe ich ein Video von einer dreijährigen Chinesin gepostet, die eine Sonate von Beethoven spielte. Auf der einen Seite waren die Besucher über die Fertigkeiten dieses Mädchen erstaunt, auf der anderen Seite waren sie erbost über den Drill, den dieses Mädchen bekam. Liebe ist eins der wichtigsten Mittel im zwischenmenschlichen Zusammenleben.
2. Mit der Bereitschaft des Kindes arbeiten: Kinder werden nicht gern herumgestoßen und lassen sich auch nicht gern ihren Willen brechen. Zerrst du das Kind gegen seinen Willen ans Klavier oder vom Spielen weg, wird es Proteste hageln. Bestätigst du das Kind, wenn es sich ans Klavier setzt und einfach frisch fröhlich herumklimpert, fühlt es sich gut und wird wieder machen.
3. Kinder sind Menschen, die nicht voll ausgewachsen sind. Alles, was für Erwachsene gilt, gilt auch für Kinder. Was du als Erwachsener nicht magst, wird auch dem Kind nicht gefallen. Lass auch nicht das an deinen Kindern aus, was dir angetan wurde. Ich hatte einmal eine Mutter erlebt, die in Tränen ausbrach, als sie erkannte, dass sie genauso ihre Kinder grob behandelte, wie ihre Mutter sie behandelt hatte.
4. „Probier einfach herum und irgendwann entscheidest du dich vielleicht." Das scheint jetzt vermutlich etwas passiv, aber in einem Kind steckt so viel Potential. Wie sehr haben wir uns gefreut, einfach mit unserem Chemie-Baukasten herumzuspielen! Haben wir nicht durch einfaches Ausprobieren viel mehr gelernt als dann später in der Schule? Übrigens mit dieser Methode wurden schon etliche Genies hervorgebracht.
Schauen wir uns jetzt ein paar spezielle Punkte an:
1. „Herumspielen" lassen:
Da knüpfen wir gleich an den letzten Punkt an. Ich halte das für extrem wichtig und denke, dass dieser Punkt sehr oft ausgelassen wird und ein Hauptgrund ist, warum Kinder die Motivation verlieren.
Es gibt Kinder, die einen Pianisten im Fernsehen gesehen haben und dann seine Bewegungen am Klavier nachahmen. Wunderbar, was da entsteht!
Lass es den Klavierdeckel aufmachen und in die Innereien hineinschauen. Lass es die verschiedenen Knöpfe am Keyboard ausprobieren.
Frag dann das Kind: „Wie zeigst du denn, dass du deine Katze magst?" Es sagt dann vielleicht: „Ich streichle sie." Und du sagst: „Gut. Zeig mir am Klavier, wie du deine Katze streichelst." Und es spielt vielleicht ein Glissando auf den weißen Tasten.
Es ist auch lustig, wenn man Tiere-Raten am Klavier spielt. Zuerst fragt man das Kind: „Kannst du mir zeigen, wie ein Maus über das Klavier huscht?" Und es macht das. Dann andere Tiere. Dann kannst du sagen: „So, jetzt spiele ich ein Tier am Klavier, und du ratest." Und dann umgekehrt. Das macht irrsinnig Spaß und ist ein super Einstieg.

 

2. Sätze am Klavier spielen:
Das ist eine wunderbare Methode, um Musikalität zu entwickeln und das kreative Spiel zu fördern. Wir nehmen einen Satz, z.B. „Ich heiße Martin".
„Wie viele Teile hat dieser Satz: Ich-hei-ße-Mar-tin?
„5!"
„Sehr gut. Jetzt spiele den Satz am Klavier."
Und das Kind probiert und probiert und probiert.
„Und jetzt machen wir: ‚Und wie heißt du?' Wie viele Teile (Silben) hat dieser Satz?"
„4!"
„Sehr gut. Jetzt spielen wir den Satz am Klavier."
Dann können wir verschiedene Personen spielen: „Wie würde denn Papa sich vorstellen?" Und das Kind spielt vielleicht einen Satz um 2 Oktaven tiefer.
„Und wie würde sich denn dein Vogel vorstellen? Vielleicht sagt er: ‚Ich bin der Fibsi.' Wahrscheinlich irgendwo ganz am oberen Ende das Klaviers."

3. Notennamen lernen:
Das machen wir genauso, wie beim Seminar oder beim Musik-Workshop:
„Hallo, Sebastian! Wollen wir mal diesen Tasten Namen geben?"
„Ja. Cooles Spiel!"
„Welche Idee hast du denn?"
„Markus, David, Jonas. ... Aber die sind vielleicht schwer zu merken."
„OK. Wie wär's mit Buchstaben?"
„Du meinst: ABC usw."
„Ja. Schau mal. Du hast hier ein Muster mit den schwarzen Tasten. Du siehst immer Gruppen von 2 und Gruppen von 3 schwarzen Tasten."
Das Kind spielt.
„Such einmal alle Gruppen von 2 schwarzen Tasten. Wie viel haben wir denn da?"
Das Kind zählt.
„Sagen wir, diese 2 schwarzen Tasten bilden eine Hundehütte. Und da drinnen sitzt ein weißer Dackel. Deswegen nennen wir diese weiße Taste D."
„Oh." Und das Kind sucht alle weißen Dackel.
„Super. So jetzt haben wir hier ein D. Wie würde man denn die Taste gleich rechts vom D nennen?"
„Mmmh. E."
„Genau. Und die nächste weiße Taste rechts davon?
„F."
„Perfekt!"
Dann kommen die nächsten weißen Tasten und dann die schwarzen, aber bitte Schritt für Schritt. Und immer viele Spiele!

4. Bekannte Lieder nachspielen:
Nachdem das Kind die Notennamen gelernt hat, kann man ihm z.B. ein Lied mit den Notennamen aufschreiben und sagen:
„Schau, ich habe hier ein Lied für dich. Kennst du das?"
Und wir geben dem Kind z.B. GEE FDD CDEFGGG.
Es spielt die Töne ein paar Mal hintereinander vor. Und vielleicht erkennt es das Lied „Hänschen klein".
Oder wir spielen den Anfang im Rhythmus vor. Und das Kind erkennt es.
Sehr oft hat das Kind ein Lied im Kindergarten oder in der Schule gehört und möchte es nachspielen.
Dann nehmen wir dieses Lied und suchen uns die Töne.
Das Kind kann dann die Töne am Klavier markieren. Oder es kann die Töne einfach aufschreiben.
Das bringt unmittelbare Erfolge. Und es hebt die Motivation.

5. Die abgeschnittene Tastatur:
„Ich zeig dir jetzt, wie die Tastatur wirklich aussieht. Einverstanden?"
„O ja. Da bin ich aber gespannt."
„Also du siehst hier die Tastatur mit den langen weißen und den kurzen schwarzen Tasten. Stell dir vor, wir schneiden jetzt die untere Hälfte ab, sodass alle Tasten gleich lang sind."
Du kannst ein Papierklavier basteln oder eine Tastatur kopieren und dann die untere Hälfte abschneiden.
„Als nächstes malen wir alle Tasten knallrot an. Möchtest du das machen?"
„Gerne."
Und das Kind malt.
Dann stellst du die Tastatur vertikal auf und sagst:
„Das sieht jetzt aus wie eine Leiter. Du kannst die Leiter Stufe für Stufe hinaufgehen. Mach das einmal!"
Und das Kind geht mit seinen Fingern die Stufe hinauf. Hier erklärst du das Konzept von 1, so wie wir es auch im Seminar oder im Workshop gemacht haben.
„Und glaubst du, können wir auch in 2er-Schritten hinaufgehen?"
„Klar. Warum nicht?"
„Gut. Probiere es."
Wenn das Kind das gut kann, dann gehen wir zum nächsten Schritt:

6. Die Dur-Tonleiter:
„So, ich habe jetzt ein Muster für dich, das ganz viele Leute verwenden, um diese Leiter hinaufzugehen: 2-2-1-2-2-2-1."
Und das Kind probiert das Muster auf der Papiertastatur. Dann machst du es auf dem echten Klavier mit ihm. Das Kind erkennt die Dur-Tonleiter. Du lässt es diese Tonleiter von verschiedenen Tönen aus beginnen und du bekommst immer dasselbe Ergebnis: Eine Dur-Tonleiter!
Als nächsten Schritt könntest du das Kind die Dur-Tonleiter mit Sticker am Klavier fixieren.
Dann kann es mit diesen Tönen herumspielen.
Und wir kommen zu Punkt 4 „Bekannte Lieder nachspielen".

7. Fingerübungen:
Duncan gibt im Musik-Verstehen-Seminar eine Unmenge von Fingerübungen. Die grundlegende Fingerübung geht folgendermaßen (für die rechte Hand):
• Wähle irgendeine weiße Taste.
• Setze den 5. Finger (den kleinen Finger) auf diese Taste.
• Setze den 4. Finger (den Ringfinger) auf die nächste weiße Taste links davon.
• Setze den 3. Finger (den Mittelfinger) auf die nächste weiße Taste weiter links.
• Setze den 2. Finger (den Zeigefinger) auf die nächste weiße Taste weiter links.
• Setze den 1. Finger (den Daumen) auf die nächste weiße Taste weiter links.
• Setze den 5. Finger auf die weiße Taste, die vorher durch den 4. Finger gespielt wurde und gehe hinunter (Richtung links) zum 1. Finger.
• Bei jeder weiteren Wiederholung setzt du den 5. Finger auf diejenige Taste, die vorher vom 4. Finger gespielt wurde.
Halte dabei die exakt gleiche Zeitspanne zwischen jeder Note, die du spielst.
Kinder lieben diese Übung. Sie beginnen oft von selbst ganz rechts und spielen bis ganz links und gehen dann wieder rauf. Zuerst mit der rechten und dann mit der linken Hand.
Dann sagst du:
„Jetzt machen wir die Übung ein bisschen anders. Wir lassen einen Finger aus. Welchen schlägst du vor?"
„Ok. Egal. Den Daumen."
„Gut." Und los geht's. Dann kannst du 2 Finger auslassen, oder sogar. Du kannst weiße Tasten durch schwarze ersetzen. So lernt das Kind ganz spielerisch die Finger locker und leicht zu bewegen.

Mit diesen 7 Vorschlägen kommst du schon recht weit. Und das Schöne ist, dass du diese Übungen immer wiederholen kannst, z.B. zum Aufwärmen oder um die Grundlagen der Musiklehre zu wiederholen.
Ich bin sicher, du kannst dir noch ganz viele Übungen zu den Akkorden, zum Rhythmus oder zum Notenlesen einfallen lassen.
Es soll immer Spaß machen. Arbeite dabei immer mit der Bereitschaft des Kindes. Ermuntere das Kind, selbst Spiele zu erfinden, und bestätige das Kind, wenn es etwas gut schafft.
Ich wünsche dir selbst viel Freude.
Alles Liebe
Gerd
Https://www.musikverstehen.net

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